Sensorische Integration

= "die Fähigkeit Sinneseindrücke zu ordnen, um sie sinnvoller nutzen zu können"
    Dr. Jean Ayres (1920-1988), Begründerin der Sensorischen Integrationstherapie
Ursprünglich beschrieb Dr. Jean Ayres die Theorie der Sensorischen Integraton in Hinblick auf Kinder mit Lernschwierigkeiten. Später vermutete sie, dass sensorische Integrationsstörungen über die Kindheit hinaus bestehen können und sich im Erwachsenenleben durch emotionale und soziale Auffälligkeiten äußern würden.

Eine qualifizierte sensorisch-integrative Intervention soll dem Kind beim Erlernen und Festigen von alltagspraktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten helfen. Ebenso wirke sich dies auf Verhalten, Emotionalität, motorische Koordination, Sprache und Sprechen, aus. Dies konnte trotz sichtbarer Ergebnisse in der täglichen Praxisarbeit noch nicht per Studien bewiesen werden. (Wiesbauer/Kull-Sadacharam 2012)

Sensorische Integration ist ein normaler, dynamischer, neurologischer Informationsverarbeitungs-Prozeß innerhalb des Zentralnervensystem. Sie bildet die Grundlage für Entwicklung, Erwerb sozialer Fähigkeiten, Kulturtechniken, emotionale Reife, Alltagshandeln und (schulisches) Lernen. Während des Prozesses der Sensorischen Integration werden alle Abschnitte des Zentralnervensystems zeitnah und räumlich aufeinander abgestimmt. Dadurch ist dem Menschen eine sinnvolle und emotional zurfriedenstellende Informationsaufnahme und -verarbeitung möglich.

Für die Aufnahme, Wahrnehmung und Verarbeitung von Sinneseindrücken sind unsere Sinnessysteme (Augen/Sehen, Ohren/Hören, Nase/Riechen, Zunge/Schmecken, Haut/Tasten und Fühlen) zuständig. 
Unter ständig wechselnden Bedingungen verstärkt, unterscheidet, hemmt, filtert, ordnet und integriert unser Gehirn die eingehenden Sinnesinformationen.

Eine weitere wichtige Rolle spielen die Aufrichtung des Körpers gegen die Schwerkraft, Körperhaltung, Körperbalance, Gleichgewicht, Geschicklichkeit, die Bewegungsempfindung und -ausführung, sowie die Stellung und Positonierung von Gelenken und Knochen innerhalb des Raumes. Der Mensch ist durch die Sensorische Integration in der Lage, seinen Körper innerhalb der Umgebung effizient einzusetzen. 

Meist zeigt sich bei konsequenter, regelmäßiger Teilnahme an den Therapieeinheiten eine Verbesserung der sensorischen Verarbeitung und Sprachfunktion mit Auswirkungen auf den schulischen Alltag. Im Mittelpunkt der Therapie steht stets die individuelle Entwicklung des Kindes unter Einbeziehung seiner persönlichen Stärken und Bedürfnisse.





SIAT (= Sensorisch-Integrative Ayres Therapie) ® ist eine Behandlungsmethode auf neurophysiologischer Grundlage. Sie erweitert das logopädische Therapiespektrum.

Sprache und Sprechen

Die Fähigkeit zur Kommunikation ist für uns Menschen ein elementares Grundbedürfnis. Durch das Verstehen und die Produktion von Sprache sind wir in der Lage, uns verständlich zu machen.

Wir können unsere Wünsche, Gefühle, Gedanken und Vorstellungen durch Sprache in Wort- und Schriftform ausdrücken.

Doch was uns so leicht erscheint, ist eine Höchstleistung des Gehirns. Wir benötigen dazu die notwendige Beherrschung unserer  Sprechwerkzeuge (Zunge/Lippen/Kiefer) zur Lautbildung, die Koordination von Atmung und Artikulation, sowie die entsprechende Hör- und Körperwahrnehmung.

Dies sind grundlegende Voraussetzungen für den Spracherwerb. Von Anfang an spielt die Sensorische Integration eine zentrale Rolle in der gesamten Entwicklung des Kindes.
Ein Neugeborenes braucht Jahre, um diese Fähigkeit zu perfektionieren. Im Sprachlernprozess baut das Kind sein täglich wachsendes Sprachwissen (Artikulation/Wortschatz/Grammatik) aus und trainiert seine sprachlichen Fähigkeiten, indem es erfolgreiche, zielführende Spracherfahrungen wiederholt und verfeinert. Das Fundament für einen sinnvollen Spracherwerb wird durch das Zusammenführen, Verknüpfen und Verarbeiten von Sprache und unterschiedlichen Sinneseindrücke (= Sensorische Integration) gelegt.

Um Neues zu lernen, nutzt das Kind seine bisher geübten sprachlichen Erfahrungen. Im Nervengeflecht des Gehirns entstehen dadurch neue Verknüpfungen. Das Gehirn ist dadurch in der Lage seine Speicherkapazität, z. B. Wortschatz, beständig zu erweitern. Mit diesen neuen Verknüpfungen macht das Kind wiederum neue sprachliche Erfahrungen, welche die Spirale der Lernentwicklung vorantreiben. Dies betrifft sowohl das Lernen auf sprachlicher und motorischer Ebene, als auch die geistige und emotionale Entwicklung.

Nur wenn das sprachliche Fundament stabil und gut gerüstet ist, kann das Kind den sprachlichen Anforderungen im schulischen Alltag gerecht werden, z. B. beim Erwerb der Schreib- und Lesekompetenz.

Therapiekonzept der Sensorisch-Integrativen-Ayres-Therapie SIAT ®

"Etwas was man nicht kann, kann man nicht üben."
Zitat - Dr. Jean Ayres, Begründerin der SI-Theorie, (1920 - 1988)


SIAT(= Sensorisch-Integrative Ayres Therapie) ® ist eine Behandlungsmethode auf neurophysiologischer Grundlage. Sie erweitert das logopädische Therapiespektrum.
Studienergebnis von Kull-Sadacharam/Wiesbauer 2012:

Die SI-Therapie bewirkte eine signifikante Verbesserung in den Zielen, die zuvor mittels Goal Attainment Scaling (GAS) (Papousek et al. 2004) festgelegt wurden. Bei der Aufmerksamkeit und den kognitiven und sozialen Subtests der Leiter Performance Scale konnten ebenfalls Verbesserungen erzielt werden. Inwieweit ein Transfer auf die alltäglichen Herausforderungen erreicht werden konnte, wurde nicht geprüft. Trotz eindeutig positiver Ergebnisse in der täglichen Praxis ist die Wirksamkeit der SI-Therapie bis heute nicht eindeutig bewiesen, insbesondere nicht ihre Auswirkungen auf klinische Bilder wie Bewegungsstörungen (ICP, CP), wie auch andere schwere Entwicklungsstörungen.
Die Theorie der Sensorischen Integration basiert auf dem Verständnis sensorisch-neurologischer Verarbeitungsprozesse. Im therapeutischen Prozess werden die Dysfunktionen (Hyper-/Hyporeagibilität) und ihre Auswirkungen auf die Alltagspartizipation und Lebensqualität des Klienten an Hand des bio-psycho-sozialen Modell der ICF (=international classification of function) berücksichtigt.

Das Kind erhält die Gelegenheit frühere Entwicklungsstufen nochmals zu durchleben und in diesen Bereichen nachzureifen, welche die Grundlage für die Anforderungen seines Alters sind. Es geht in erster Linie nicht um die quantitative Frage "Kann das Kind krabbeln, schaukeln, klettern ...?", sondern um die qualitative Frage "Wie krabbelt, schaukelt, läuft, ...verhält sich das Kind?". Hypo- und Hyperreagible erhalten entsprechend dosierte Sinnesinformationen, die zur besseren Wahrnehmung und Verarbeitung der Sinnessysteme und zur verbesserten Selbstregulation führen. Beeindruckend sind die möglichen Verhaltensänderungen, die mit den Nachreifungsprozessen Hand in Hand gehen.

SIAT® zielt auf eine verbesserte Interaktion des Kindes mit Objekten und räumlichen Gegebenheiten in der sich ständig verändernden Umwelt (=SI-Raum) ab. Hierbei werden die sozio-emotionalen, motorisch-funktionellen, sensorischen, kognitiven Fähigkeiten auf der Handlungs- und Alltagsebene des Kindes individuell im geschützten SI-Raum gefördert. Das Kind ist aktiv spielend an der Therapie beteiligt.
Die Therapiegestaltung richtet sich nach der Motivation, den Bedürfnissen und den Fähigkeiten des Kindes. Durch die zunehmend effektivere funktionale Beherrschung seines Körpers und seiner Umwelt kann eine Zunahme des körperlichen Gleichgewichts und Bestärkung des Selbstvertrauens beim Kind erzielt werden, welche wiederum zur Stabilisierung des seelischen Gleichgewichts führt. Dies geschieht durch das Zusammenführen von unterschiedlichen Aspekten der kindlichen Entwicklung zu einer Einheit. Die Auswirkungen zeigen sich im sichtbaren Verhalten, Motivation und in einer angepassten Frustrationstoleranz.

Innerhalb des SI-Raumes schafft der/die TherapeutIn das sprachliche, sensorische, motorische Angebot und bietet die entsprechende Dosierung und Steigerung der Sinnesreizung an. Außerdem werden Fähigkeiten für das Erlernen von Kulturtechniken (z.B. Schreiben und Lesen), Spiel ( Arbeit des Kindes) und Freizeitaktivitäten, z.B. Spielplatz, Klettern, Reiten, ... angebahnt.

Das Kind lernt sein Verhalten emotional und motorisch besser anzupassen. Dies geschieht im SI-Raum durch den Kontext sinnvoller Tätigkeiten und Verbesserung von funktionellen Ergebnissen (Stabilität, Ausdauer und Kraft). Dem jeweiligen Krankheitsbild und Befund entsprechend werden Vorgehensweise und Ziele individuell festgelegt und regelmäßig im Laufe der Therapie überprüft und modifiziert.
Ziele der Theorie:
 
  • Verstehen der sensorischen Verarbeitung und Dysfunktionen
  • Einfluss der Hyper- und Hypofunktion auf Verhalten, Selbstregulation, Frustrationstoleranz, Emotionen, Sprache, Sprachqualität, Kommunikation, Motivation, Motorik, Praxie, Aufmerksamkeit, Konzentration, Ausdauer, Sozialverhalten, Erregungsniveau=Arousal

Theoretischer Behandlungsschwerpunkt:
 
  • Normalisieren der sensorischen Verarbeitung
  • Hervorrufen von adaptiven Verhalten

Befunderhebung und Schwerpunkt:
 
  • standardisierte Meßverfahren und Diagnostikmaterial
  • klinische Beobachtungen in einem definierten Setting (Baseline):
  • Sensorische Verarbeitung, Erregungsniveau, Motorische Planung, Praxiefähigkeit, posturale Mechanismen
  • antizipatorische Anpassungsreaktion, Motivation, Arbeitshaltung, Sequenzierung von Handlungsabläufen, zeitliche Abstimmung, Organisation
  • Verhalten, Sprachqualität und -verständnis, Mundmotorik

Therapieziel:
 
  • Förderung und Normalisierung der sensorische Verarbeitung durch erfolgreiche Erfahrungen und Lernprozesse im geschützten therapeutischen Setting
  • Verbesserung der Aufmerksamkeit, Konzentration, Organisation des Verhaltens, Eigenmotivation (= inner drive)
  • Aufbau eines situativ adäquat angepaßten Erregungsniveaus
  • Verbesserung der Praxiefähigkeit (Handlungsidee, -planung, -ausführung) und Sequenzierung
  • Förderung der motorischen Planung und Geschicklichkeit
  • Verbesserung der Alltagspartizipation und Lebensqualität
Rolle des SI-Therapeuten:
 
  • Modifikation und Kontrolle des SI-Raumes entsprechend der kindlichen Eigenmotivation, Aktivitäten, Modulation (Aktivierung und Beruhigung), Selbstregulation, sprachlichen und motorischen Entwicklung, "Arousal" (= neurologisches Grunderregungspotential)
  • Schaffen von systemspezifischen Sinneseindrücken zur Ermöglichung und Hervorrufen sinnvoller kindlicher Handlungen ohne das Sprache oder Motorik vom Therapeuten aktiv gesteuert werden
  • Kind wählt seine Aktivitäten im SI-Raum selbst aus, der Therapeut steuert dies nicht direktiv (= hands off)
  • Vermittlung von physischer und emotionaler Sicherheit
  • Ermöglichung dualer Interaktion, insbesondere mit Gleichaltrigen

Therap. Setting - SI-Raum:
 
  • Die physikalisch sichere Umgebung verwendet obligatorisch mindestens 3 hängende Geräte zum Schwingen, Schaukeln und Drehen.
  • Der SI-Raum bietet viel Platz für das Hervorlocken von Spiel und Bewegung.
  • Im SI-Raum befinden sich unterschiedliche Bodenbeschaffenheiten und multiple sensorische Reizquellen, die kreatives kindliches Spiel in reizvoller und verlockender Umgebung hervorrufen.